Wie werden Revolutionen geboren?

franceprotest [1]763 words

Deutsche Übersetzung der englischen Fassung [2] von Deep Roots

Die Geburt von Revolutionen ist ein faszinierendes, sehr relevantes und wenig bekanntes Thema. Es wurde vom Soziologen Jules Monnerot (1908 – 1995) nach den französischen Ereignissen des Mai 1968 in seinem Buch Sociologie de la Révolution (Paris 1969, Fayard) studiert. Ein wertvolles Werk, für das der Autor eine Reihe von Konzepten geschmiedet hat, die für alle Situationen anwendbar sind.

Als soziologische Studie und keine über die Geschichte von Ideen verwendet Monnerot einen Begriff – „Revolution“ – ohne natürlich all das zu ignorieren, das die verschiedenen Revolutionen des 20. Jahrhunderts voneinander trennt und ihnen entgegensteht: Bolschewismus, italienischer Faschismus, deutscher Nationalsozialismus, die französischen Revolutionen von 1944 oder 1968. In der Tat wendet er dieselbe soziologische Analyse auf diese Massenphänomene an, während er eine klare Unterscheidung zwischen konservativen Revolutionen und dekonstruktiven Revolutionen trifft.

Am Anfang definiert Monnerot einige Konzepte, die für jede Revolution gelten. Erstens, die „historische Situation“: sie ist eine, die wir nie zweimal erleben. Dies trifft auf 1789, 1917, 1922, 1933 oder 1968 zu. Eine weitere ergänzende Idee: die „Notsituation“. Sie wird von unkontrollierten Unruhen gekennzeichnet. Die Gesellschaftsstruktur ist geschlagen: die Elemente sind nicht mehr an ihrem Platz.

Wenn eine Gesellschaft stabil ist, können wir normale („homogene“) und marginale („heterogene“) Gesellschaftselemente unterscheiden. Marginale Elemente sind marginal, weil sie vom Druck der „homogenen“ Elemente erhalten werden. Wenn eine kritische Schwelle des Umbruchs erreicht ist, beginnt sich der homogene Teil abzuspalten. Das Chaos wird dann ansteckend.

Eine interessante Beobachtung, die für konservative Revolutionen gilt: „das Homogene bleibt selbst in der Abspaltung homogen.“ Wenn der Umbruch radikal ist, „initiiert das ganze Fundament der Gesellschaft eine Forderung nach Macht.“ Der Faschismus in den Jahren 1922 oder 1933 war zum Beispiel eine Reaktion auf diese Forderung in einer hochentwickelten Gesellschaft (Industrie, Wissenschaft, Kultur). In solch einer Gesellschaft wurden, wenn die Ordnung zusammenbrach, die konservativen (homogenen) Elemente vorübergehend revolutionär in ihrem Wunsch nach Ordnung und verlangten Macht.

Wie kommen wir zu einer „revolutionären Situation“? Monnerots synthetische Antwort: Unzulänglichkeit an der Spitze. Eine Regimekrise wird von einer „Vielzahl von Konflikten“ gekennzeichnet. Irgendeine Ausnahme von der Autorität der Machthaber, und die Unordnung wird endemisch. Die Gesellschaft „kocht über“.

Dieses Überschäumen ist keine Revolution. Es ist eine Phase, eine Zeit, mit einem Anfang und einem Ende (einem Abkühlen), wenn das Medium „nicht länger entflammbar ist“. Wenn sich die Aufregung legt, haben nicht dieselben Leute das Kommando (Robespierre wurde durch Napoleon ersetzt, Trotzki durch Stalin, Mussolini durch Balbo).

Zu revolutionären und turbulenten Bedingungen gehören die „Massen“. Dies sind momentane Koagulationen, Truppen der Revolution. Um die Massen zu führen, ihnen ein Nervensystem zu geben, entwickelten die Jakobiner und Lenin (viel wirkungsvoller) das Instrument der Partei.

Was Leninisten „die Radikalisierung der Massen“ nannten, ist eine Tendenz zur Politisierung jener, die bis dahin konformistisch und wenig geneigt sind, leidenschaftlich wegen des Gemeinwohls zu sein (jene, die vom Staat vor allem verlangen, die Aufgabe des Staates zu erfüllen). Wenn sie in eine Phase des Aufruhrs eintritt, „wird die Gesellschaft in alle Richtungen von intensiven emotionalen Reaktionen durchzogen, wie Eisenfeilspäne in einem Magnetfeld.“

Notsituationen bringen gewalttätige Eliten nach vorne: die „subversiven Heterogenen“, die Irregulären und Marginalen, die die üblichen Barrieren nicht aufhalten können. Sie verleihen der Bewegung die Kraft zum Durchbruch.

In einer revolutionären Situation kann der schmerzliche Mangel an Macht und das Bedürfnis danach gesellschaftliche Elemente, die nach Ordnung streben, auf den Weg der Revolution zwingen. „Eine Zeit kommt, in der die Arditi oder die jungen baltischen Ulanen [1], die zuvor als Verworfene betrachtet wurden, dem homogensten Teil der Bevölkerung mehr beruhigend als beunruhigend erscheinen. Sie scheinen durch das Unglück die Werte des Mutes, der Tapferkeit und des Charakters zu verkörpern, ohne die es kein großes Land gibt… Selbst jene, die sie nicht unterstützen, denken, daß man sie es versuchen lassen sollte.“ Dies ist eine gute Zusammenfassung außergewöhnlicher historischer Situationen. Aber, wie Monnerot angab, ist die „historische Situation“ das, was niemals zweimal entsteht.

Treten wir im Frankreich von 2013 in eine „historische Situation“ ein? Sicherlich noch nicht. Aber es gibt Anzeichen dafür, daß es sich vielleicht auf solch eine unvorhergesehene Situation zu bewegt. Wird sie all das sein, was sie verheißt? Es ist zu früh, um das zu sagen. Aber nichts ist unmöglich.

Anmerkung von Greg Johnson:

[1] Die Arditi waren die italienischen Sturmtruppen des Ersten Weltkriegs, von denen viele zu faschistischen Schwarzhemden wurden. „Baltische Ulanen“ bezieht sich wahrscheinlich auf die deutschen Freikorpsveteranen, die in der nationalsozialistischen Bewegung eine ähnliche Rolle spielten. Ich möchte Robert Steuckers für die Klärung des letzteren Punktes danken. Falls Monnerot auf ein bestimmtes Individuum anspielt, mailen Sie mir bitte unter: [email protected] [3]

Source: http://schwertasblog.wordpress.com/2013/11/22/wie-werden-revolutionen-geboren/ [4]